Prof. Dr. Michael Beintker

Prof. Beintker ist schon seit Jahrzehnten Dozent im Kirchlichen Fernunterricht im Fach Systematische Theologie. Für das Symposium "Evangelische Theologie für das Ehrenamt" bietet er einen Beitrag zum Verhältnis von Exegese und Systmatischer Theologie an. Dazu hat er zehn Thesen vorgelegt. Lesen Sie schon einmal hinein.

Wieviel Exegese braucht die Systematische Theologie?

Zehn Thesen
zur Zuordnung von exegetischen und systematisch-theologischen Arbeitsschritten am Beispiel der Lehre vom Heiligen Geist

 

1. Die Bibel ist die maßgebliche Erkenntnisquelle der christlichen Theologie. Wer sich am reformatorischen Erkenntnisprinzip des sola scriptura / allein die Schrift orientiert, kann keine theologische Aussage ohne Bezug auf die Heilige Schrift entwickeln.

2. Das gilt für alle theologischen Aussagen. Sie müssen in jedem Fall vor dem im Evangelium aufleuchtenden Gesamtsinn des biblischen Zeugnisses bestehen. Wenn sie sich nicht direkt auf Schriftaussagen zurückführen lassen, müssen sie sich zumindest als Aussagen bewähren, die im Zeugnis der Schrift impliziert sind.

3. Das kann man sich beispielhaft an der Lehre vom Heiligen Geist (Pneumatologie) verdeutlichen. Man stößt hier auf ein vergleichsweise reiches Schriftzeugnis – sowohl in der Bibel Alten Testaments und erst recht in der Bibel Neuen Testaments.

4. Gottes Geist macht lebendig, strahlt aus und schenkt Ausstrahlung. Das bedeutet:
4.1 Der Glaube lebt aus der Kraft des Geistes.
4.2 Die Gemeinde lebt von den Geistesgaben (Charismen ) ihrer Glieder.
4.3 Die Gemeinde wächst aus der Kraft des Geistes durch die Geistesgaben ihrer Glieder.

5. Neben dieser Pneumatologie des Dritten Artikels ist eine Pneumatologie des Zweiten und des Ersten Artikels des Glaubensbekenntnisses zu beachten:

5.1  Jesus von Nazareth hat den Geist empfangen. Der Geist wirkt in ihm, wie er schon in den charismatisch begabten Propheten Israels gewirkt hat. Damit ist die Bedeutung der Pneumatologie für die Christologie impliziert .

5.2  Gottes Geist wirkt in der Schöpfung. Das Handeln des Schöpfers realisiert sich im Wirken des Geistes. Damit ist die Bedeutung der Pneumatologie für die Schöpfungslehre impliziert.

5.3  Die Zuordnung der drei Artikel des Credos impliziert zugleich die Bedeutung der Pneumatologie für die Trinitätslehre.

6. Die systematisch-theologisch (= dogmatisch) entfaltete Lehre vom Heiligen Geist setzt ein sorgfältiges Schriftstudium voraus. Ohne ein solches Schriftstudium würde die Pneumatologie ihre geschichtlichen Bezüge einbüßen und zur Spekulation degenerieren.

7. Die Exegese verhindert das Abgleiten des theologischen Denkens in spekulative Verfahrens - und Betrachtungsweisen, wie sie auch dem frommen Wunschdenken und der Instrumentalisierung biblischer Aussagen einen heilsamen Widerstand entgegensetzt.

8. Mittels exegetischer Arbeitsschritte werden erschlossen:

8.1  die historischen Konstellationen der in der Bibel berichteten Geisterfahrungen und -zeugnisse und ihre jeweiligen Kontexte,

8.2  das genaue Verständnis der Wortfelder und der Texte, die als Ausdruck solcher Geisterfahrungen und -zeugnisse zu betrachten sind,

8.3  die ursprünglichen Deutungen und Deutungsmuster für das Phänomen „Geist“ / „Heiliger Geist“ / „Geist Gottes“ und ihre Entwicklung in den biblischen Überlieferungen.

9. Die systematisch-theologisch erarbeitete Lehre vom Heiligen Geist kann auf weiten Strecken in der Auslegung und Entfaltung der biblischen Befunde betrieben werden. Selten wird so schnell deutlich, was die theologische Theoriebildung der Exegese verdankt.

10. Da die Systematische Theologie die Grundeinsichten des christlichen Glaubens im Horizont heutiger Welt- und Selbsterfahrung reflektiert, wird sie

10.1  die exegetisch gewonnenen Einsichten hermeneutisch bearbeiten,

10.2  sie systematisieren und die über die Details hinausgehenden Zusammenhänge freilegen.

10.3  und die so gewonnenen Einsichten in den Gesamtzusammenhang theologischer Erkenntnis stellen.